Spiel mir das Lied von der Suppe...

Es geht nichts über eine gute Suppe.

Der Teekessel singt und pfeift imperativisch, wenn man ihn ignoriert: „Gieß den Tee gefälligst auf!“ Die Suppe dagegen köchelt und simmert vor sich hin, wenn es langsam gehen soll, und sie blubbert und brodelt, wenn ihr zu heiß wird. Ihr Imperativ lautet: „Ich bin fertig! Alle zu Tisch.“ Wann sie fertig ist, entscheiden Köchin/Koch. Sie hüten oft das Geheimnis des Suppengeschmacks, das gewisse Etwas, klar, denn das Gericht ist natürlich mehr als die Summe seiner Zutaten. Die Suppe spricht für sich! Gute Leute in der Küche wissen auch intuitiv, dass mit dem Kochen Dinge zu erreichen sind, die mit Wort-Anstrengungen nie erreichbar sind. So kann man ja im Deutschen jemanden kraft eines guten Essens einkochen, also dazu verführen, mit einer Sache einverstanden zu sein, gegen die man vorher war.

Suppe essen, das erweckt ein archaisches und uns dennoch vertrautes Bild des menschlichen Zusammenlebens. Unwillkürlich entsteht ein anderer Aggregatzustand, einer der Wärme und Emotionen. Verbinden wir nun den Wasserkocher und die Suppe, so ergibt sich allerdings ein sehr heutiges Bild: „Zisch!“, ein Wasserstrahl ergießt sich über der Instant-Suppe, die „Reiß, Ratsch!“ in eine Schale geleert wurde. Der gestresste Gegenwartsmensch, vermutlich Single, der sofort etwas im Magen haben will.  (In Deutschland ist jede 2. Suppe ein Fertigprodukt. Ist ja auch honto ni benri...)

Suppe  -  das ruft Erinnerungen auf. Die Krankensuppe - ein undefinierbarer Schleim, gegen den man sich nicht wehren konnte: „So gesund!“, so tönte es ans Ohr. Oder die Speck-Brotknödel mit der traurigen Brühe... Als Kind bedeutete es für mich, meinen Teller schnellstmöglich auslöffeln zu müssen, andernfalls gab es nichts anderes zu essen. Die Suppe  -  ein hinzunehmendes Hindernis, an verlockendere Speisen, ganz besonders Süßes wie Apfelstrudel heranzukommen. Es ertönte von Vaters Seite die dunkle Melodie vom Suppenkaspar aus dem veralteten (aber interessanten) Kinderbuch Der Struwelpeter, der vom gesunden Jungen zum dünnen „Fädchen“ mutierte  -  und zwar innerhalb von 4 Tagen der konstanten Weigerung „ Ich  esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“ Am 5. Tag lag er auf dem Friedhof. An diesem Drama zweifelte ich sehr (Welches Kind wäre so dumm, freiwillig zu verhungern?), aber es klang so schön schaurig. Und Friede mit Papa ein Gebot der Schlauheit. 
„Du bist ja auf der Nudelsuppe daher geschwommen...!“, riefen wir als Schüler:innen einem zu, der nichts zu verstehen schien. Die bescheidene österreichische Nudelsuppe  -  im Vergleich zu den asiatischen  - konnte nichts dafür. - In der Nationalbibliothek in Wien gab es in der Kantine die fade Buchstabensuppe (aus Nudeln): Man kam von der Buchlektüre und sollte wohl in der Suppe weiterlesen... Dabei lesen wir beim Essen mit dem Mund; der Gaumen ist ein „Leseorgan“, so der Filmemacher und ‚Koch-Professor’ P. Kubelka.

Mein Geschmack evolvierte mit der Zeit, ich wurde zu zur Suppen- Freundin, als ich begann, über den einheimischen Suppentellerrand hinauszublicken. Da wurde die Suppe „sexy“. Zum ersten Mal Französische Zwiebelsuppe, Fischsuppe, Weinsuppe mit Käse, Kastaniensuppe, Borscht... alles kulinarische Erweckungserlebnisse.  Sogar für Haferschleimsuppe, diesen Magenschmeichler, begeistere ich mich. Ich bin ein Suppen-Tiger. 

Dass gegenwärtig Suppen von der Vorspeise (im Westen) zum Hauptgericht
avanciert und geradezu Kult sind, ist der internationalen Ausbreitung von asiatischen Gerichten mit Soba, Udon und vor allem Ramen zu verdanken. Neuerdings auch vietnamesisches Pho. Sie präsentieren sich uns als All-inclusive-Mahlzeiten samt Getränk(!): Nudeln, Mochi, Gemüse, Algen, Fisch, Meerestiere oder Fleisch, frische Gewürze, ... auch Frittiertes kann man auf dem Topf finden. (Vielleicht werden Wiener bald auch ein gebackenes Schnitzel als Topping verwenden...) Und die Flüssigkeit, ein lange gekochter Extrakt, wird getrunken. Geht es noch besser? Festes, Flüssiges, Frisches – sogar Knuspriges. Und: Es sieht auch schön appetitlich aus! Einfach cool! Dazu braucht man nur einen Topf und Stäbchen.

Apropos Werkzeug: „Suppe“ bedeutet auf Deutsch ursprünglich „Löffelspeise“ oder auch „Brühe“. Die Speise war hauptsächlich ein Getreide-Brei, mehr oder weniger flüssig. Noch im Mittelalter war der Besitz eines Löffels nicht selbstverständlich. Die Armen, die herumziehenden Menschen, aber auch die Studenten besaßen möglichst einen Holzlöffel, den sie an den Hut steckten, dazu ein Gefäß, den Scherben. Sie waren meist angewiesen auf die Klostersuppe oder auch Armensuppe. Im 18. Jahrhundert gab es dann auch Suppenanstalten, organisiert von öffentlicher Hand. Bestandteile waren Mehl, wenig Fett, schwarze Bohnen, Linsen oder auch Milch; selten Fleisch und Fisch; später auch Kartoffeln (eine relativ neue Pflanze in Europa).  –  Suppe  - die elementare, alltägliche Ernährung  -  wurde zum Synomym für die Mahlzeiten schlechthin. Man rief die Arbeitenden  zur Morgensuppe, Mittagssuppe und genau! zur Abendsuppe....  ‚Soup around the clock!

Wenig erstaunlich also, dass es viele idiomatische Redewendungen gibt: einem Anderen die Suppe versalzen oder in die Suppe spucken, das heißt, die Pläne einer Person vereiteln bzw. sie richtig ärgern; eine dünne Suppe ist eine inhaltslose Sache; Egoisten bzw. unkooperative Menschen sind solche, die sich ihr eigenes Süppchen kochen; die Suppe, die du dir eingebrockt hast, auch auslöffeln müssen klingt unerbittlich: Du musst die negativen Konsequenzen deines Tuns tragen.

Bemerkenswert ist die aktuelle Renaissance der Suppenküche in Form von sozial-künstlerischen Suppen-Interaktionen. In unserer Gegenwart der multiplen Krisenerschütterungen, die Gesellschaften derart verunsichern, empören und auseinanderdriften lassen, dass weder gemeinsame Verständigung noch soziale Synthese mehr möglich scheint, poppen punktuell kleine  Versuche der Schenkökonomie (Marcel Mauss, Die Gabe 1923/24) auf. Es erklingt die vertrauliche Botschaft der Suppe: „Wärm dich auf und sei mit den anderen.“ Anfang 2023 begann in der Bonner Update-Galerie ein Künstler  - anstatt seine Skulpturen auszustellen, die Intervention „Die Reichen und der Champagner raus, die Armen und die Suppe rein.“ genau an dem Ort, wo Vermögende sonst teure Bilder kaufen. Im kleinen Rahmen wollte er die Polarisierung der Welt zeigen: Hier der Champagner, dort bestenfalls die Suppe. -  Ebenfalls im Winter 2023  lud das  Künstlerkollektiv YRD. Works auf dem Offenbacher Rathausplatz im Pavillon zum Projekt „Soups“, Suppe für alle, um unter den Besuchern das Gefühl des Miteinanders zu stärken. „Die Suppe, der Topf, das Zusammenkommen an einer sozialen Feuerstelle ist dabei Metapher für eine Gesellschaft, die wieder Empathie statt Ellbogen zum Ziel hat.“
2008 startete die Jahressuppe 2008: 366 Tage lang reiste ein Riesensuppentopf durch 13 europäische Länder und kam schließlich in der Wien-Bibliothek an. An jedem Ort wurde eine landesspezifische Suppe gemeinschaftlich gekocht und gratis verteilt; ein halber Liter musste als Rest bleiben und ins nächste Land weitergehen, denn der kam in die neue Suppe... Es war als Manifest der Gastfreundschaft zwischen den Kulturen gedacht. Der letzte Rest wurde in die Donau geleert, als symbolischer Akt des Weiterfließens der Suppe...

Suppe: das elemantarste Essen (Bauchgefühl, Herzerwärmung), Universalgenie unter den Speisen, komplex-liquid, geschmacklich vielschichtig (Geschmacksexplosionen ohnegleichen), Essen und Trinken in einem, enthält potentiell alle Speisen von Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte über Gemüse, Kräuter, Gewürze und Getreidearten; Gewürze. Und nicht zu vergessen auch Obst wie Zitrusfrüchte, Äpfel, Birnen...  Alles ist möglich. Doch halt! Es braucht Haltung und Wissen: Die Transparenz einer reinen Suppe, scheinbar ohne Inhalt, fasziniert. Wie ist es vom grob Stofflichen (Knochen, Fleisch, Wurzelgemüse, Fisch...) zum puren, aber nuancenreichen Extrakt gekommen? 
Dazu braucht es Materialwissen, den Zugriff auf gute Rohstoffe, Kenntnis im Umgang mit den Zutaten. Unzählige Handgriffe begleiten den Kochprozess.  
Es braucht Neugier und Offenheit gegenüber der Welt, abseits unseres vorgeprägten Geschmacksinnes, denn die Kreation eines neuen Geschmacks ist eine Offenbarung des Anderen schlechthin. 

Es braucht Wertschätzung gegenüber den Zutaten und den Esser:innen. 
Es braucht Empathie, ja Hingabe beim Schaffen. Koch und Köchin müssen mit der Suppe mitgehen: Was benötigt die Suppe jetzt, was kommt dazu... Sie müssen innerlich dabei -  beim mitunter alchimistisch wirkenden Kochgeschehen. 
Und es braucht die vollkommene Präsenz, eine hochaktive Aufmerksamkeit und Konzentration auf die verschiedenen Abläufe. Dieses Hantieren und Jonglieren... bis gerufen wird: „Fertig!“

Wir wissen nicht genau genug, wie die Welt entstanden ist (die Ur-Suppen-
Theorie, 1953 von Miller, gilt leider nicht...), wir wissen nicht genau, was die Welt im Innersten zusammenhält, wir können immerhin erfahren, was den Einzelnen und die Vielen zusammenhält - bei der Vereinigung mit der essbar gemachten Welt : Es ist die Suppe!

Karin Ruprechter-Prenn

 

 

Die Poesie des Stoffwechsels

Was haben Ernährung und Mode gemeinsam, in welcher Verbindung stehen sie? Als erstes kommen einem dabei vielleicht Bilder von unterernährten Modells und anorektischen Frauen, die Nahrung verweigern, um vorgegebenen Schönheitsidealen zu entsprechen, in den Sinn. Wenn man jedoch Mode nicht als System, sondern im Kontext von Kleidung betrachtet, zeigen sich andere Perspektiven, die von sehr unterschiedlichen stofflichen Beziehungen und Bezugnahmen erzählen. Edwina Hörl thematisiert in ihrer Kollektion „Soup“ das Verhältnis von inneren und äußeren „Stoff-Wechsel-Prozessen“, von Umwandlungsprozessen im und am Körper. Welche Verbindungen bestehen zwischen chemisch-organischen und designbasierten, künstlerischen Umwandlungsprozessen, zwischen inneren und äußeren Stoffwechselvorgängen? Durch beide wird der Körper geformt und gestaltet. Als Schnittstelle zwischen Nahrung und Kleidung verwendet Edwina Hörl die Suppe als Metapher, wo sich erst in der Kombination, durch das Zusammenwirken einzelner Elemente, das Lebensnotwendige und das Ästhetisch-Sinnliche, die Nährstoffe und das volle geschmackliche Aroma entfalten können.

Im Zentrum steht also der Körper, dessen Wirkkräfte und seine inneren und äußeren Erlebniswelten. Das Zusammenwirken einzelner Nahrungsstoffe und das Zusammenwirken einzelner Kleider-Samples steht bei Edwina Hörl exemplarisch für Umwandlungsprozesse in und am Körper. In ihrer „Reset-Couture“ modelliert sie Samples aus unterschiedlichen Kollektionen zu neuen Einzelstücken, die re-kontextualisiert werden. Das Design entsteht in diesem Umwandlungsprozess durch Erweiterung des ursprünglichen Verwendungsradius von Kleidungsstücken, durch ein Crossover von Materialien und Schnitten und Funktion, im Zeichen umweltschonender Wiederverwertung. In der „harubarutei“ T-shirt Reihe, die Teil der S.a.n.a.e-Kollektion ist, bringt Edwina Hörl die Welt des Kochens und der Mode modellhaft zusammen. In Erinnerung an ihren verstorbenen Mann Sanae, legendärer Küchenchef des Ramen-Restaurants harubarutei in Tokio/Kyodo, sollen nicht nur die von ihm kreierten Suppen und Gerichte wiederbelebt werden, sondern den damit verbundenen Geschichten gelauscht werden. Damit gemeint sind sowohl der performative Herstellungsprozess in kommunikativer Interaktion mit den Gästen im Lokal als auch Narrative, die mit den einzelnen Zutaten und deren Geschichten verbunden sind. Die einzelnen Zutaten, Gerichte, Zubereitungstechniken und Formen verweisen ebenso wie Kleidungsstücke, Samples, Materialien, Schnitte und Designs auf bestimmte Entstehungs- und Produktionsprozesse, die kulturgeschichtlich und gesellschaftspolitisch geprägt sind und Träger/Körper von Geschichten sind. In beiden Bereichen, in der Essenszubereitung wie in der Mode spielt die Auswahl und die Kombination einzelner Elemente, die Bezugnahme auf Referenzen alltäglicher und gesellschaftlicher Phänomene, Zeitepochen, sowie das Potenzial der Verwandlung eine große Rolle. Stoffwechsel steht hier also für organische und für gestalterische Umwandlungsprozesse. 

Angesichts von Klimawandel und Umweltzerstörung sind Umwandlungsprozesse bzw. abbaubare Produkte, Wiederverwertung, Kreislaufwirtschaft und vor allem Degrowth von zunehmender Bedeutung. Damit verbunden ist die Dauerhaftigkeit und Wertigkeit von Produkten, die Wertschätzung und Genuss erfahren. Dadurch können Natur- Arbeits- und Energie-Ressourcen geschont werden und die auf umweltzerstörerischen Herstellungsprozessen basierenden und auf schnelllebigen Konsum abzielenden Verwertungsketten von Fast-Fashion und Fast-Food unterbrochen werden. Transformation findet über die Bewusstseinsebene und die körperliche Ebene statt, beide Bereiche sind nicht voneinander zu trennen. Wenn man im Sinne der Degrowth Bewegung davon ausgeht, dass es bereits genug Produkte auf der Welt gibt, stellt sich die Frage, wie gehen wir mit dem bereits Vorhandenem um, welche neuen Modelle der Wiederverwertung und tatsächlich umweltschonenden Produktion benötigen wir, jenseits von Wachstums-Mythos und -Zwang. Erst wenn schnelles Wachstum, schneller Profit und schneller Konsum nicht mehr als die Ziele gesellschaftspolitischer und subjektiver Wertsetzung propagiert werden, besteht die Chance sich von dem alles dominierenden ökonomischem Regime zu distanzieren. Wenn nicht Quantität und Akkumulation von Produkten, sondern das Zusammenwirken einzelner Bestandteile und Akteur*innen als Stoffwechsel-Grundlage für das Überleben gesehen werden, erst dann werden sich Sichtweisen und Verhaltensweisen ändern. 

Die in der Suppe versammelten Nährstoffe stehen für die konzentrierte Vielfalt der vom Körper benötigten Stoffe, um Stoffwechselprozesse bestmöglich zu gewährleisten, organisches Wachstum zu ermöglichen, Gesundheit zu erhalten, das Immunsystem zu  schützen, Wohlbefinden und Genuss zu befördern etc. Ein natürlicher Prozess, der exemplarisch für ökologische Prozesse steht, die wiederum nicht von gesellschaftlichen Prozessen getrennt werden können. So wie die Nahrungsmittelauswahl den Körper von innen her bestimmt, definiert und schützt Kleidung den Körper von außen. Das Zusammenwirken und die Interdependenz einzelner Bestanteile und Akteur*innen sind Teil von Kreislaufsystemen, in die wir erst wieder hineinfinden müssen.

Sabine Winkler

 

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