UN/GLÜCK GELUECKE LUCK HAPPINESS CHANCE BONHEUR KOUFUKU FELICITAS AUGURI SHIAWASE

«Was ist Glück? Nachher weiß man es.»
(Arnold Stadler, Schriftsteller)

Superantwort! Sie sagt beinahe nichts und doch viel. Das Glück 'schweigt sich aus' ..., denn davon zu sprechen hat etwas Obsoletes an sich. Die Aussparung zeigt: unendlich viele mögliche Antworten individueller Art bis hin zur minimalen, die der Abwesenheit von Unglück. Der Zeitsprung - «Nachher» - weist auf eine Erkenntnis hin: Glück ist eine flüchtige Episode, womöglich eine Grenzerfahrung, ohne Kontrast könnte es ja gar nicht wahrgenommen werden - dieses gigantische oder winzige 'Glücksding'. Folglich begreifen wir es erst retrospektiv. Es ist schwer vorstellbar, dass in Glücksmomenten im Hirn das Wort «Glück» aufblitzt. Das Paradoxon ist doch: Reden wir vom Glück, ist es scheu, abwesend. («Wer sagt, er sei glücklich, lügt.», so das strenge Urteil Adornos.) Ist es da, kann es nicht benannt werden, da es außerhalb der Sprache liegt - vielleicht in einem alle Sinne erfassenden Moment des Einsseins mit der Welt - und durch das Sprechen eher banalisiert wird. Schließlich handelt es sich ja nicht um «Tatsachen in der Welt», auf die wir einfach Zugriff hätten, sondern um «Stellungnahmen zur Welt» (Wittgenstein), die sich durch die ganze komplizierte Philosophie-Geschichte der Ethik und der Lebenskunst ziehen.

Nicht der privilegierte Augenblick, sondern ein glückliches Leben zu führen war bei den antiken Philosophen eine Sache der Lebenskunst.

Sind wir ehrlich, langweilen wir uns meist schnell, erzählt jemand von seinem Glück, oder - was schlimmer ist, wir fühlen uns alsbald schlecht, deklassiert, weil wir uns bereits zu vergleichen begonnen haben, was laut Kierkegaard «das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit» ist.

Das Glück ist ein Vögelein, so die Wiener, eine luftige Sache mit Federn, die sich nicht fangen lässt. Vögel gehen selten einen Käfig suchen... So gesehen enthielte die ephemere Glückserfahrung immer einen Aspekt des Bedauerns, des Elegischen, fast des Versäumens, «Oh, schon vorbei...» Als ein Inbild des Glücks gilt die Kindheit, in die wir uns erinnernd gern wie in eine Nische legen, denn damals war so unmittelbar wie später nie mehr, eine ganze Welt zu entdecken.

Sehr österreichisch ist der Satz aus «Fledermaus» von J. Strauß: «Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.» Die Aussage: eine resignative Strategie der Unglücksvermeidung. Ähnlich und trotzdem mit mehr subjektiver Entschiedenheit bei Karl Valentin, dem berühmten Münchner Komiker: «Ich bin froh, wie es (die Welt) ist. Wäre ich nicht froh, wär's trotzdem so.»

Im diffusen Begriff des Glücks verschwimmt so vieles, nämlich das ganze Spektrum an Fragen zur menschlichen Existenz, die ganz wesentlich das Unglück mitenthält. Täglich aufs Neue den Stein des Sisyphus auf den Berg zu rollen, um ihn abends wieder hinunter rollen zu sehen, die Mühsal des Lebens, die Vergeblichkeit, die darin liegen mag, soll uns nicht unglücklich machen, so Camus. Im Gegenteil, man müsse sich Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen...

Glück wünschen/haben, glücklich werden oder sein... Glück als Idee, als Gedanke oder angestrebter Zustand geistert als Phantasma durch unsere (westlichen) Köpfe, sei es, weil es ein genuines Glücksverlangen, das in Wahrheit Lebensinn heißt, tatsächlich gibt; sei es, weil beispielsweise in der US-Verfassung «the pursuit of happiness» verankert ist; sei es, weil eine ganze Glücksindustrie, begleitet von unzähligen Buch-Ratgebern, Seminaren, Videos... uns ständig mit Slogans wie «My better life» im Sinne einer Selbstoptimierung bombardiert. (Die Soziologin Eva Illouz bezeichnet das in ihrem Buch «Happycratie» von 2018 als «Tyrannei des Glücks».) Siehe da - auch ein Weltglückstag wurden schon ausgerufen. Wer dies noch nicht weiß, es ist der 20. März.

Ich konsultiere einen deutschen Bestseller- Ratgeber, der einen attraktiven Untertitel hat: «Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist.» (2007) Wilhelm Schmid unterscheidet zwischen «Zufallsglück», «Wohlfühlglück» und dem «Glück der Fülle». Eine Kombination aus allen drei Glücksformen erleben wir, aber interessant ist die Gewichtung: Es soll nicht das Wichtigste sein!

Bereits das Glück- Haben, also das Ergebnis von Zufallsprozessen, ist eine verzwickte Sache, denken wir bloß an die Tatsache, wo und in welcher Situation wir geboren werden... «Zufallsglück» stößt uns zu und kann dem Leben eine bestimmende Wende geben: diese bekannte Aussage, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein... Ein trivialer Prototyp dafür wäre die Comic-Figur Gustav Gans (engl. Gladstone Gander) aus der Duck-Familie: «Das Glück liegt auf der Straße, man braucht es nur aufzuheben.» Im strengen Sinn kollabiert hier der Glücksbegriff, denn ist es noch als Glück zu bezeichnen, wenn jemand immer nur Glück hat...?

Das «Wohlfühlglück» (ein Begriff, der leider sehr nach 'Wellness' klingt) ist das hedonistische Bestreben des Menschen, die Glück versprechenden Momente permanent haben zu wollen, den Glücksvogel in einen Käfig zu stecken... Das Freudsche Lustprinzip der Wunscherfüllung also, das uns bei Versagen desselben in Unzufriedenheit mit der ganzen Welt setzen kann. Dieses 'Lustprogramm' ist nicht durchführbar, es kollidiert ständig mit dem Realitätsprinzip von Gesellschaften, die uns eine möglichst geglückte Sozialisation abverlangen. Ja, es tut weh, erwachsen zu werden und wir befinden uns vielleicht immer auf dem Weg dazu... Mühsam erlernen wir ein selbstbestimmtes Verhältnis zum Begehren und damit mehr Autonomie. Mühsam und sehr schwierig ist es, die Grenzen möglicher Selbsterkenntnis zu reflektieren ...und die irreduzible Bedeutung der negativen Seiten des Daseins für ein gelingendes Leben anzuerkennen. «Glück der Fülle» als 3. Form nennt dies Schmid. Dabei geht es eben nicht um maximale Glücksansprüche, nicht um die Eliminierung von Schmerz... Es geht darum, das Leben in seiner Vielfalt, d.h. mit seinen Polaritäten zwischen Glück und Unglück, mit seinen Widersprüchen und mit der Unvollkommenheit zu leben, die Herausforderungen zu bewältigen und darin seinen Sinn zu finden. Maß, Demut, Bescheidenheit, Gleichgewicht, Reflexion... ein Rückgriff auf die antike Lebenskunst. Vielleicht sind gerade auch die Binsenweisheiten ein probates Mittel, den überfrachteten Glücksbegriff zu entschlacken, wie Schmid es unternommen hat. Der Erfolg gibt ihm Recht...

Das Glück ist kein Ziel, das wir anstreben können, viel mehr ist es «ein Begleitumstand und eine Nebensache» (Nietzsche), die sich bei unseren Anstrengungen einstellen können. Das Glück also nicht so wichtig nehmen.

Um unser 'Glückskuddelmuddel' besser zu verstehen, hat sich auch eine umfangreiche Glücksforschung etabliert, die z.B. unser Gehirn in Sachen Glück analysiert. Neurologen berichten, dass ein Mix aus Belohnungsempfinden plus einem Cocktail aus Botenstoffen, Neurotransmittern und Hormonen einen flüchtigen Zustand des 'Glücks' erzeugen. Ob das geschieht, wenn ich einfach Schokolade esse? Bestimmt nur dann, wenn ich diese auch 'verdient' habe... Jedenfalls muss die Chemie im Hirn stimmen, so weit ist Glück also messbar. Auch ein Glücksgen soll es nicht geben, bloß einen kognitiven Kernmechanismus, der zwischen Optimisten und Pessimisten unterscheiden lasse. Bekanntlich sind die einen die Medaillen-Kehrseite der anderen - nur sollen Optimisten eben glücklicher sein... Hier haken die Verhaltensforscher nach: Optimistischer, also glücklicher sein, lässt sich durch positive Interventionen erlernen. Ein Beispiel: Täglich mehr über das Gute nachdenken, schlechte Nachrichten vernachlässigen... Medienwelt bye, bye...

Die Verhaltensökonomie erhebt und vergleicht weltweit ökonomische Daten und setzt dazu mittels Umfragen das persönliche Glücklich-Sein in Beziehung. Daraus entstehen gewiss fragwürdige Länder-Rankings, die uns darüber informieren sollen, wo die glücklichsten Menschen existieren sollen. (Einmal las und staunte ich, Bangladesh stünde an 1. Stelle. «Ich lebe und über mir ist der Himmel», wurde eine auf der Straße lebende Frau zitiert. Schöne Antwort, doch vielleicht nur gut erfunden. Ich fürchte, die Unglücklichen sind in den Stichproben kaum enthalten.) Auf diesem unsicheren Terrain herrscht jetzt mehr Bescheidenheit: Statt Glück heißt es jetzt «Lebenszufriedenheit». Indikatoren dafür sind messbare Parameter wie Rechtssicherheit, Möglichkeit zur Bildung, Wohnen und Arbeit. Hier liegen die skandinavischen Länder an der Spitze, Japan hat nur einen Listenplatz im Mittelfeld. – Staaten setzen «Glückskommissionen» ein, vielleicht nach dem Vorbild Bhutan, wo anstelle des BIP (Bruttoinlandsprodukt) das Glücksnationalprodukt eingeführt wurde. Fragebögen werden erstellt und verteilt, eifrige Beamte sind unterwegs, um das nationale Glück zu evaluieren. Tja, 70% der Beamten sind demzufolge glücklich, aber nur 30% der restlichen Bevölkerung... Der Staat soll sich in Sachen Glück nicht einmischen, es genügt bestimmt, wenn er die Rahmenbedingungen für individuelle Entfaltungsmöglichkeiten aller Einwohner schafft.

Noch einmal Wittgenstein:

Er schrieb am 6.7. 1916 in sein Tagebuch: «Der, welcher glücklich ist, (...) erfüllt den Zweck des Daseins», indem er «keinen Zweck außer dem Leben» mehr brauche. Mir scheint, für einen solchen Mensch wird der Glücksbegriff überflüssig. Nur - wie kommen wir soweit? Er schrieb auch, für den Glücklichen wachse die Welt, für den Unglücklichen schrumpfe sie in Richtung Leere.

Ich wünsche allen, dass ihre Welt größer werde.

Karin Ruprechter-Prenn (2019)

 

 

Open your Eyes – Glück als Vorstellung

Wie ist Glück definiert, wenn der Anspruch darauf rechtlich verankert ist, wie das beispielsweise in der amerikanischen und in der japanischen Verfassung der Fall ist? Vorstellungen von Glück, die einerseits auf eine Allgemeinheit und Gemeinschaft ausgerichtet sind und andererseits individuelles Glück versprechen, treffen hier aufeinander. Mit dem rechtlichen Anspruch auf das Streben nach Glück und dessen Stellenwert gehen oftmals Idealvorstellungen von Glück einher, die zur gesellschaftlichen Norm und Pflicht werden können und dadurch sozialen Status mitdefinieren. Nicht glücklich zu sein wird dann als individuelles Versagen interpretiert, Unglück als Belastung für das soziale Umfeld gesehen und gemieden. In einer Leistungsgesellschaft bedeutet Unglück, dass man nicht funktioniert wie gewohnt und damit weniger effizient ist. Um dem Unglück entgegenzuwirken und schnell wieder fit zu sein, werden eine Unzahl von Ratgeberbüchern, Workshops, mentale und körperliche «Rezepte» zur Unglücksvermeidung bzw. Anleitungen zum Glücklichsein angeboten. Von einem mit dem Unglück assoziierten Nullpunkt ausgehend, gibt es Möglichkeiten Dinge zu verändern, wodurch wiederum Glück entstehen kann. Im Englischen gibt es die Unterscheidung zwischen «Luck», zufälliges Glück und «Happiness» konstruiertes, andauerndes glücklich sein und «Bliss», der glückselige Wahrnehmungsmoment. Happiness bezeichnet also subjektiv empfundenes Lebensglück, das von einem Versprechen auf Glück und einer Sehnsucht nach Glück geprägt ist. Hier kommen Ideologien mit ins Spiel: Sie schaffen Vorstellungsbilder und Narrative, durch die sie definieren, was Glück ist, wie Glück erreicht werden kann oder welche Ideale von Glücksvorstellungen verpflichtend als Lebensziel verfolgt werden sollen.

Versprechen auf Glück

Wie hängt das Versprechen auf Glück mit der Verpflichtung auf Glück zusammen? Mit Glücksversprechen assoziiert man Vorstellungen von einem besseren Leben, wie etwa die Hoffnung in eine höhere soziale Klasse aufzusteigen oder beruflichen und privaten Erfolg. Über die Definition von Glück durch Selbstverwirklichung oder Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft werden nicht nur Normvorstellungen geprägt, sondern es wird auch bestimmt, wie diese Glücksversprechen realisiert werden können, wenn man an ideologische Strukturierungen gesellschaftlicher Verhaltensweisen oder an den Hype um Ratgeberliteratur, Coachingblasen, Selbstfindungs- und Heilungs-Workshops denkt. Selbst in der Freizeit werden Körper und Geist optimiert, um in der Arbeit effizienter zu funktionieren.

Andererseits liefern Glücksparameter wie physische und psychische Gesundheit, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung, ein ausgeglichenes Verhältnis von Arbeit, Freizeit und Bezahlung, Bildung und Umweltfaktoren etc. Vergleichswerte für Glücksanalysen, um durch Datenauswertungen Einfluss zu nehmen. Die Vermessung von Glück entspricht dem postmodernen Imperativ des «sei glücklich!» und setzt die Individuen unter Druck im Sinne von: Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Damit werden auf das Selbst konzentrierte, selbstbezogene Vorstellungen von Lebensglück propagiert, die permanent miteinander konkurrieren, wenn man beispielsweise an die Bewertungssysteme auf den Social Media Foren denkt.

Unglücklich sein

Je größer der gesellschaftliche Zwang ist glücklich sein zu müssen, desto höher steigt der Bedarf an Psychopharmaka und Opioden, sowie an Selbsthilferatgebern etc. Wenn Glück als Leistung verstanden wird, entsteht Unglück und Depression durch das Nichtentsprechenkönnen, Ausschluss und Mangel von Glück. Hohe Erwartungen treffen auf Versagensängste, Überforderungen machen sich breit und führen im schlimmsten Fall zu Phänomenen wie Hikikomori oder zu Selbstmord. Alternativen Vorstellungen von Glück wird oftmals die Anerkennung verweigert. So bestehen in westlichen Gesellschaften vor allem kollektive Vorstellungen von autonomen und absoluten Glück des/der Einzelnen, weniger jedoch von Glück als Gemeinschaft. Anders in Japan, wo Gemeinschaft als Glücksfaktor traditionell einen hohen Stellenwert hat.

Ausdruck von Glück

In bestimmten Momenten wird der Ausdruck von Glück als gesellschaftliche Verpflichtung erwartet, um durch bestimmte dafür vorgesehenen Gesten, Ausrufe, Mimiken etc. sichtbar zu werden. Durch den Ausdruck von Glück, die performative Darstellung von Glück, versichern wir uns, dass das Glück real ist, indem wir es anderen mitteilen oder mit anderen teilen. Glück entsteht in der Vorfreude, in Erwartung von einem mit einer Glücksvorstellung verbundenem Ereignis. Andererseits bestimmt der spekulative Charakter von Glück dessen Instabilität. Glück ist in Relation zur subjektiven Vorstellungskraft sowohl möglich als auch unmöglich. Das Glück liegt in der Zukunft und manifestiert sich in der Erinnerung. Deswegen versuchen wir auch das Glück anzulocken, die Götter freundlich zu stimmen, das Schicksal nicht herauszufordern.

Es gibt also sowohl die Vorstellung, dass moralisches Verhalten glücklich macht als auch den «moralischen» Zwang glücklich sein zu müssen, wie das im Neoliberalismus tief verankert ist. Wenn das Subjekt dadurch definiert wird was es leistet und besitzt, wird Glück auf materielle Werte reduziert. Was bleibt dabei auf der Strecke? Schließen sich Wahrheit und Glück gegenseitig aus, wie unterscheidet sich wahres von falschem Glück, wenn es denn diese Unterscheidung gibt? Wie trügerisch ist das Glück?

Das Glück der anderen

Glücksversprechen sind Bestandteil von Ideologien und Marketingstrategien, um über das Prinzip Sehnsucht Begehren zu erzeugen. Objekte des Begehrens wurden und werden über Hollywoodfilme und TV-Serien, You Tube und andere Kanäle definiert, ebenso wie Role Models für Verhaltensweisen sowohl traditionell als auch fiktiv und emanzipativ geprägt werden können. Das inszenierte Glück der anderen stellt das unerreichbare Ideal dar. Über die virtuellen Kanäle eröffnen sich sowohl unendliche Möglichkeiten der Generierung und Verbreitung von Glücksvorstellung als auch deren Beeinflussung über Datenauswertungen. Von Mikrotargeting Kampagnen bis hin zu Influencern wird Glück als Versprechen im Kontext von politischen Wahlentscheidungen, Produktauswahl und Lifestyle-Modellierung eingesetzt. Neoliberale Glücks-Mantras wie, optimiere Dich selbst, vermarkte jeden Bereich Deines Lebens, verwirkliche Dich selbst und Du wirst glücklich, sind immer in Konkurrenz zu anderen verortet. Technologie ist eines der Mittel, um sein Glück/Unglück öffentlich zu machen und gleichzeitig selbst eines der größten Glücksversprechen.

Ist man also in Relation zu anderen glücklich oder unglücklich oder ist man glücklich, wenn man nicht unglücklich, also zufrieden ist? Macht der Prozess das zu erreichen was man möchte glücklich oder macht bestimmtes Handeln, das das Wohl seines Gegenübers und der Allmende mitdenkt glücklich? Regierungen schaffen Grundvoraussetzungen für glückliche oder unglückliche Lebensformen. Wenn von Regierungen nur die eigenen oder elitäre Interessen verfolgt werden, bedeutet das soziales und ökologisches Unglück für alle anderen. Wirtschaftswachstum als zentrales nationales Glücksversprechen hat spätestens mit der «Friday for Future-Bewegung» nicht nur endgültig seinen Absolutheitsanspruch verloren, sondern wird als Ursache für Umweltzerstörung identifiziert.

 

Der Wert des Glücks

Welchen Stellenwert hat Glück in unterschiedlichen Kulturen und Vorstellungswelten? Warum hat das Streben nach Glück in westlichen Ländern so einen hohen Stellenwert, dass es wie in der amerikanischen Verfassung als Recht verankert ist? Auch in der japanischen Verfassung ist im Artikel 13 angeführt, dass für jeden/e japanische/n StaatsbürgerIn das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück, soweit es das allgemeine Wohl nicht gefährdet, oberster Gesichtspunkt in der Gesetzgebung und in allen übrigen Staatsangelegenheiten sein soll. Das kann als amerikanischer Einfluss der 1946 in Kraft getretenen japanischen Verfassung gesehen werden, als US-Exportartikel, der als einer der Grundlagen des American Dreams fungiert.1 Hier steht die Selbstverwirklichung des/der Einzelnen im Sinne eines gesellschaftlichen und materiellen Aufstiegs im Zentrum, wohingegen das Streben nach Glück für die ganze Gesellschaft, die Wohlfahrt in den Hintergrund tritt. In Japan treffen jenseits von sozialistischen Vorstellungen der traditionell hohe Stellenwert von Gemeinschaft, dem Eigeninteressen untergeordnet werden, und persönliche Selbstverwirklichung aufeinander.

Glück als Sinn

Der Begriff Ikigai (Lebenssinn) umschreibt in Japan die subjektive Umsetzung von Glück. Ikigai meint etwas zu haben, für das es sich zu leben lohnt, etwas, das Lebensfreude und innere Zufriedenheit bewirkt. Ikigai kann entweder auf der Basis eines Gruppen-Zugehörigkeitsgefühls (Erfüllung seiner/ihrer Rolle in der Gruppe) oder auf der Basis von Selbstverwirklichung begründet sein. Der japanische Psychiater Tsukasa Kobayashi sieht hier vor allem im Hinblick auf die Identifikation mit der Firma und der Arbeit ein Gefahrenpotenzial. Er führt an, dass viele Angestellte der Illusion erliegen würden, dass sie mit ihrer Arbeit die Familie, die Firma und Japan unterstützen würden, dass darin ihr Ikigai liegen würde. Wenn sie jedoch ausgetauscht werden oder in Pension gehen, bemerken sie, dass das nicht der Fall ist. Seiner Ansicht nach geht es vielmehr darum auf der Basis von Erfahrung und Erkenntnis die Erfüllung von Wünschen und Erwartungen, Liebe und Glücklichsein individuell und gemeinsam mit anderen, im Sinne der Gesamtwahrnehmung des Wertes des (eigenen) Lebens zu realisieren. Tsukasa Kobayashis Auffassung, dass jede/r seinen/ihren Traum ohne Zwang durch die Gesellschaft (er)leben kann, ist wiederum an der amerikanischen Glücksvorstellung und der damit verbundenen zentralen Idee der Freiheit orientiert. Selbstverwirklichung scheint zwar in der japanischen Gesellschaft an Bedeutung zu gewinnen, ist aber dennoch im Kontext von Zugehörigkeitsgefühl zu verorten. So wird in der konfuzianischen Denkweise der kollektive Aspekt des Glücks betont, das als Folge von gesellschaftlicher Ordnung gesehen wird. Der taoistischen Vorstellung zufolge, macht die Abkehr von Reichtum und Komfort glücklich und im Buddhismus bedeutet das Erkennen und Überwinden von Leiden eine der Varianten von Glück. Hier spielt karmische Kausalität eine Rolle, womit gemeint ist, dass direkte und indirekte Ursachen physische Resultate hervorrufen, sich menschliche Handlungsweisen also direkt auf Phänomene auswirken, die in der Welt passieren.

Glücksbringer und Tretmühlen

Um die eigenen Geschicke, das Schicksal positiv zu beeinflussen, verwendet man Enigmono, Glücksbringer, die u. a. entweder das Glück einladen oder herbeiwinken oder Böses abwehren sollen. Die sieben Glücksgötter, Shichi Fukujin, symbolisieren Glück in Form von Reichtum, Nahrung und langem Leben und treten gegen das Unglück an. Glücksbringer stehen für individuelles, diesseitiges Glück, ihre Glaubhaftigkeit steht in Zusammenhang mit lokalen Traditionen, die von neuen Legenden ergänzt werden.

Daruma-Figuren2 stellen in der großen Bandbreite von Glücksbringern Figuren dar, denen ein Auge aufgemalt wird, das für einen Wunsch steht. Nach Erfüllung des Wunsches wird der Daruma-Figur das zweite Auge aufgemalt, was das «Öffnen der Augen» bedeutet und ein buddhistisches Prinzip3 repräsentiert. Der Prozess des Erkennens oder der Bewusstwerdung von Ursache und Wirkung und damit in Verbindung stehende Veränderungen bedeuten Glück. Nach Erfüllung des Wunsches werden die gesammelten Daruma-Figuren im Tempel verbrannt – der Vorgang ist abgeschlossen.

Nach positiven oder negativen Lebensereignissen stellt sich nach einer gewissen Zeit ein «Glücks-Nullpunkt» ein. In der hedonistischen Tretmühlen-Theorie4 wird das Streben nach Glück so definiert, dass man die ganze Zeit daran arbeitet und dennoch am selben Platz bleibt. Die hedonistische Tretmühle versucht unter anderem das «Easterlin-Paradox» zu erklären, warum mehr Wohlstand bzw. mehr Einkommen die Menschen nicht in erwarteter Weise glücklicher macht. Die Metapher der Tretmühle erinnert aber auch an die Sisyphos-Mythologie, an Sisyphos Strafe, die ihn dazu verdammte einen Stein einen steilen Hang hinaufzurollen, wobei ihm vor dem Erreichen des Gipfels der Stein immer wieder entglitt, und er von vorne anfangen musste. Albert Camus interpretierte in seinem Essay «Der Mythos des Sisyphos» (1942) die in der Mythologie als mühsame Arbeit angelegte Strafe neu, und sah gerade in der sich wiederholenden Tätigkeit und im Nichterreichen des Ziels oder im Weg dorthin das Glück.

Sabine Winkler

 

[1] In den Verfassungen von Südkorea, Haiti und Namibia kommt es ebenso vor. In der 2008 erlassenen Verfassung von Bhutan ist das Streben nach dem «Brutto-Nationalglück» festgehalten.

[2] Die Figuren stellen den buddhistischen Mönch und Zen-Patriarchen Bodhidharma (達磨, Daruma – daher der Name der Figur) dar.

[3] Buddhistische Prinzipien 2, Inchinen Sanzen: In der Gosho «Über das Öffnen der Augen» sagt Nichiren, dass die Lehre von der «wahren Ursache» und der «wahren Wirkung» «enthüllt, dass die neun anderen Welten alle in der Buddhaschaft ohne Anfang vorhanden sind und dass die Buddhaschaft den neun anderen Welten ohne Anfang innewohnt. Sowohl die «wahre Ursache» als auch die «wahre Wirkung» sind im Leben von gewöhnlichen Menschen enthalten. Eine Änderung im Ichinen eines Menschen in einem Augenblick ist eine grundlegende Veränderung. (Daisaku Ikeda; Lotos-Sutra Erläuterung; Forum April 1997; S.34): www.nonin.de/seiten/prinzip2.htm

[4] Sacha Molitorisz, Happiness is a marathon, not a sprint: During the 1990s, a British psychologist, Michael Eysenck, devised the hedonic treadmill theory, likening the pursuit of happiness to a person on a treadmill, October 9, 2010 web.archive.org/web/20101012160913/http://www.smh.com.au/opinion/society-and-culture/happiness-is-a-marathon-not-a-sprint-20101008-16bwe.html

 

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